Green Day und das Zürcher Publikum harmonierten perfekt.

Konzertkritik: Green Day im Hallenstadion
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Promobild / © Frank Maddocks

«No war! No Trump! No facism!», schreit Green Day-Frontmann Billie Joe Armstrong, und das Publikum schreit extatisch mit. Mehrere Generationen haben sich am Montagabend im Hallenstadion eingefunden, um ihre Teenager-Idole zu sehen, ihre rebellische Seite wiederzuentdecken, oder um einfach zu feiern. Und das schon von Beginn an.

 

So hat auch die Support-Band The Interrupters keinen solch schweren Stand, wie es bei Vorgruppen sonst oft der Fall ist. Das Publikum macht auf Anhieb mit und jubelt den Amerikanern zu. Das allerdings auch verdient. Die Ska-Punk-Band liefert mitreissenden und qualitativ sehr guten Sound, der gute Laune macht. Es scheint in der Familie zu liegen: Sängerin Aimee wird von drei Musikern unterstützt, die allesamt Brüder sind. Drummer und Bassist sogar Zwillinge.

 

Die Menge ist also schon gut dabei, als zehn Minuten vor der Hauptband Queens «Bohemian Rhapsody» erklingt; die Stimmung ist schon vor dem Lichterlöschen einfach grossartig. Das rosarote Hasen-Maskottchen, das die Menge kurz darauf zum Ramones-Hit «Blitzkrieg Bop» anfeuert, wäre nicht einmal mehr nötig gewesen, ist allerdings ein Klassiker bei Green-Day-Konzerten. Entsprechend laut ist es im Hallenstadion, als schliesslich Green Day die Bühne entern, und in Sachen Pyro schon von Anfang an alle Geschütze auffahren.

 

Fan mit Stage Diving 

 

Schon der erste Song «Know Your Enemy» macht nicht nur das Gesamtpublikum glücklich, sondern einen weiblichen Fan ganz speziell, der auf der Bühne mitsingen darf. Die junge Frau will das Mikrophon fast nicht mehr hergeben, und beendet ihre zwei Minuten Ruhm mit einem Stage-Diving-Sprung in die jubelnde Menge.

 

Laute Knalleffekte lassen das Publikum immer wieder etwas aufschrecken, als ob es nötig wäre, irgendjemanden zu wecken. Dabei ist es höchst unwahrscheinlich, dass irgendjemandem langweilig sein sollte. Auch in den Rängen wird vom ersten Song an fast ausschliesslich gestanden, niemand hält es in den Sitzen. Unten derweil bilden sich immer wieder die obligaten Pogo-Pits - auch wenn es immer wieder mehrere mittelgrosse sind, anstatt einer «giant Wall of Death», wie sie sich Armstrong eigentlich wünscht. Dafür sind wohl zu viele nicht-gewohnte Konzertgänger im Publikum.

 

Das Publikum trägt einen grossen Teil der Show bei an diesem Abend. Nicht nur zeigt es von Anfang bis Schluss Stimmung ohne Ende, es ist auch noch sehr textsicher, was sich sehr gut bei «Boulevard of Broken Dreams» zeigt, was es teilweise ausschliesslich alleine singt. Und noch ein Einzelner darf seine Text-Kenntnisse zeigen: Ein überglücklicher junger Mann mit blau-schwarzen Haaren darf während «Longview» auf die Bühne, rennt Armstrong fast um und legt eine tolle Show hin, was ihm den Respekt und den Jubel des ganzen Stadions und der Band selbst einbringt. Sein Stage Diving im Anschluss gelang leider nicht ganz so gut - dafür gabs einen Abschieskuss von Billie Joe.

 

Von fliegenden Schuhen und Green Days Deutschkenntnissen 

 

Von Einzel-Stagedivern über fliegende Schuhe bis hin zu nackten Brüsten im Publikum fehlte absolut nichts. Alle lieben Green Day und deren Sänger, der immer wieder kleine Deutsch-Brocken von sich gibt, Anekdoten von Schweizer Fans erzählt, und die vorderen Reihen mit einem Schlauch nass spritzt.

 

Während dem Operation Ivy-Cover «Knowledge» darf noch ein Fan auf die Bühne, diesmal um Gitarre zu spielen. Aber nicht, ohne ihn vorher noch ein bisschen zu trietzen. «Wie alt bist du?», fragt Armstrong, 18? Hattest du schon mal Sex? Nein, hattest du nicht! Komm rauf hier!» Und zum Glück kann der Junge tatsächlich spielen, gut genug, dass er die Gitarre am Ende angeblich behalten darf. Ob er das Stadion schlussendlich tatsächlich mit Gitarre verlässt, bleibt fraglich.

 

Inzwischen ist die Band auch von einem Saxophonisten verstärkt worden, was besonderns bei «King for a Day» zum Ausdruck gebracht wird, an das die berühmte Melodie von George Michaels «Careless Whisper» folgt, und in ein Cover-Medley aus «Shout» (Isley Brothers), «Always Look on the Bright Side of Life» (Monty Python), «I can’t get no Satisfaction» (The Rolling Stones) und «Hey Jude» (The Beatles) übergeht. Ab «Always Look on the Bright Side of Life» liegen sämtliche Musiker auf dem Bühnenboden, was nicht nur lustig aussieht und bestimmt eine musikalische Herausforderung ist, sondern auch, frei nach Monty Python, «Thwow him to the floor» eine ganz neue Bedeutung gibt. Auch das Publikum geht zu Boden, einige Ruder-Reihen sind zu sehen.

 

Langsam geht es gegen Ende zu, aber noch immer ist Publikum und Band zu hundert Prozent bei der Sache. Drummer Tré Cool, der sich sonst nur im Hintergrund gehalten hat, verkündet stolz: «Ich habe einen grossen Schniebelwuls!», und Billie Joe Armstrong steht auf einmal für einen kurzen Augenblick mit einer Ganz-Kopf-Trump-Maske da.

 

Zu «Still Breathing» gibt es einen grossen Funken-Vorhang, und das gesamte Publikum im Stehbereich scheint aus Armen zu bestehen, die von links nach rechts und wieder zurück wiegen. Die Zugaben sind die beiden Hits «American Idiot» und «Jesus of Suburbia», und ganz zum Schluss gibt Armstrong «Ordinary World« und «Good Riddance» als Akustik-Zugabe.

 

Über zwei Stunden und fast 30 Songs haben die Fans von Green Day auf die Ohren bekommen. Die Qualität der Musik und Armstrongs Stimme waren dabei dermassen überraschend gut, dass sogar ganz kurz ein Playback-Gedanke aufkam. Ein zusätzlicher Gitarrist und Background-Sänger haben zwar geholfen, trotzdem eine reife Leistung, besonders für eine Band, die bereits 30 Jahre auf dem Buckel hat, und auch schon am Rande des Abgrunds stand. Definitiv ein Konzert, das viele Besucher nicht so schnell vergessen werden. Und das gezeigt hat: Punk ist nicht tot, und Green Day erst recht nicht.

 

Eines der besten Konzerte, die im Hallenstadion je erlebt habe. Dazu hat nicht nur die Band, sondern auch das ausgezeichnete Publikum beigetragen. Gerne wieder!

Seraina Schöpfer / Mi, 18. Jan 2017